Europäischer Wirtschaftsverband appelliert an die Bundeskanzlerin, beim beschleunigten Atomausstieg auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu vertrauen
Frankfurt/Main 21.03.2011: Der europäische Wirtschaftsverband European Business Council for Sustainable Energy (e5) hat in einem offenen Brief an Angela Merkel die Bundeskanzlerin gebeten, bei einem beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie mehr auf Energieeffizienz und Erneuerbare Energien zu setzen.
„Bei einer jetzt anstehenden wirtschaftlich vertretbaren Neubetrachtung unserer Energiezukunft müssen nicht nur die vollständigen Entsorgungs- und Risikokosten der Kernenergie im Lichte der aktuellen Ereignisse neu bewertet werden, sondern auch die kontinuierliche Verteuerung fossiler Ressourcen und die längerfristigen Gesamtkosten eines mangelhaften Klimaschutzes.“ – schreibt Sebastian Gallehr, Vorstandsvorsitzender des Unternehmensverbandes. „Wir begrüßen es, wenn Deutschland sich entscheidet, kurzfristiger als bisher politisch beschlossen aus der derzeit bestehenden Teilversorgung durch Kernkraftwerke auszusteigen. Für diesen Fall möchten wir ausdrücklich auf die Chancen einer intensivierten Energieeffizienz und eines verstärkten Ausbaus der Erneuerbaren Energien hinweisen.“
Der European Business Council for Sustainable Energy weist darauf hin, dass allein durch Gebäudesanierung bis 2020 ohne Mehrkosten Treibhausgaseinsparungen von über 60 Millionen Tonnen CO2 realisiert werden könnten. Eine intensivierte Energieeffizienzpolitik würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Technologien weit mehr stärken als ein Beharren auf überkommenen energiepolitischen Strategien.
Eine Energiezukunft, die Deutschland mit Strom versorgt, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt, sei wirtschaftlich sinnvoll und machbar. Vonnöten wären dafür verstärkte Anstrengungen zum Ausbau von Netzen und Speichermedien, der Elektromobilität, von intelligenten Stromnetzen und eine Reformierung des Regelleistungsmarktes. Auch die auf den Weg gebrachten neuen Kraftwerkskapazitäten der kommunalen Energieversorger sollten in ein Rahmenkonzept integriert werden.
Gallehr betont, dass bei dem Ausstieg aus der Nuklearenergie nicht auf veraltete Technologien und treibhausgasintensive Energieträger wie Stein- und Braunkohle zurückgegriffen werden muss. „Die Gesellschaft kann in die Lösungskompetenz und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zur Bewältigung solcher großen Herausforderungen vertrauen.“
Wortlaut des offenen Briefes an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, 21. März 2011
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
die Schrecken des Erdbebens und des Tsunamis, die in Japan verheerende Schäden angerichtet haben, machen uns tief betroffen. Dass angesichts des Nuklearunfalls in Fukushima die Bundesregierung eine Neuüberprüfung der sicherheitsrelevanten Aspekte der Stromversorgung aus Kernenergie vornimmt, begrüßen wir. Zugleich möchten wir uns dafür bedanken, dass Sie und Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen der Gesellschaft einen energiepolitischen Dialog zur Zukunft der Energieversorgung im Lichte der neuen Erkenntnisse durch den Nuklearunfall in Japan angeboten haben, worauf wir gerne eingehen möchten.
Mit Sorge beobachten wir, dass in der nun entstehenden Debatte auch Rufe laut werden, verstärkt zu veralteten Technologien zurückkehren zu wollen und treibhausgasintensive Energieträger wie Stein- und Braunkohle vermehrt zu nutzen. Dies gefährdet nicht nur die Klimaziele der Bundesrepublik, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industriegesellschaft. Bei einer jetzt anstehenden wirtschaftlich vertretbaren Neubetrachtung unserer Energiezukunft müssen nicht nur die vollständigen Entsorgungs- und Risikokosten der Kernenergie im Lichte der aktuellen Ereignisse neu bewertet werden, sondern auch die höchst wahrscheinlich kontinuierliche Verteuerung fossiler Ressourcen und die längerfristigen Gesamtkosten eines mangelhaften Klimaschutzes. Wir begrüßen es, wenn Deutschland sich entscheidet, aufgrund der neuen Situation kurzfristiger als bisher politisch beschlossen aus der derzeit bestehenden Teilversorgung durch Kernkraftwerke auszusteigen. Für diesen Fall möchten wir ausdrücklich auf die Chancen einer intensivierten Energieeffizienz und eines verstärkten Ausbaus der Erneuerbaren Energien hinweisen.
Die Bundesregierung hat durch ihr Energiekonzept vom 28. September 2010 eine wichtige Orientierung zur Einsparung von Primärenergie und Stromnutzung gegeben. Dieses Ziel sollte jetzt durch ein wesentlich detaillierteres und koordiniertes Maßnahmenbündel umgesetzt werden. Allein durch diese Energieeffizienzstrategie könnte das Potential einer Treibhausgasreduktion von 35 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 realisiert werden. Die Importe von Erdgas und Erdöl ließen sich auf diese Weise deutlich verringern und die Energiekosten bis 2020 um insgesamt rund 19 Milliarden EUR senken.
Mehrere hunderttausend Arbeitsplätze können so geschaffen, die deutsche Produktivität erhöht, das Bruttoinlandsprodukt um 0,9 Prozent gesteigert werden. Zudem würde eine intensivierte Energieeffizienzpolitik die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Technologien weit mehr stärken als ein Beharren auf überkommenen energiepolitischen Strategien. Wie die Bundesregierung zu Recht in ihrem Energiekonzept betont, kommt der Gebäudesanierung hierbei eine Schlüsselrolle zu. Laut anerkannten Studien sind hier bis 2020 kostenneutrale Emissionseinsparungen von über 60 Millionen Tonnen CO2 möglich.
Energieeffizienzmaßnahmen weisen zudem ein hohes Potential an wirtschaftlichen Chancen auf: Baugewerbe und Handwerk werden stimuliert, Wertschöpfung im Ausland durch regionale Wertschöpfung ersetzt.
Zudem werden die wirtschaftlichen Potentiale eines intensivierten Ausbaus der Erneuerbaren Energien in Deutschland bedauerlicherweise noch immer nicht voll genutzt. Eine Energiezukunft, die Deutschland mit Strom versorgt, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt, ist wirtschaftlich sinnvoll und machbar. Neue Berechnungen im Auftrag des Bundesumweltministeriums zeigen, dass bereits jetzt durch den bisher beschlossenen Pfad zum Ausbau der Erneuerbaren die jährlichen volkswirtschaftlichen Ersparnisse größer sind als die volkswirtschaftlichen Kosten. Bis zum Jahr 2020 wird die volkswirtschaftliche Gesamtbilanz hier einen kumulierten Gewinn von 26 Milliarden EUR aufweisen.
Verstärkte Anstrengungen zum Ausbau von Netzen und Speichermedien, der Elektromobilität, von intelligenten Stromnetzen und eine Reformierung des Regelleistungsmarktes sind vonnöten. Auch die auf den Weg gebrachten neuen Kraftwerkskapazitäten der kommunalen Energieversorger sollten in ein Rahmenkonzept integriert werden.
Wir appellieren an Sie, gerade jetzt die Chancen von Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien zur Sicherung der Lebensgrundlagen von morgen und der Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland zu nutzen. Europa braucht auch in Zukunft die deutsche Wirtschaftslokomotive. Die Gesellschaft kann in die Lösungskompetenz und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zur Bewältigung solcher großen Herausforderungen vertrauen.
Die von unserem Verband vertretenen Branchen und Mitgliedsunternehmen stellen innovative Lösungen im Bereich der intelligenten Nutzung von Energie, der Energieeffizienz auf Verbraucher- wie Produktionsseite, der Kraft-Wärme-Kopplung, der erneuerbaren Energien und des Emissionshandels dem Markt zur Verfügung. Sie stehen bereit, ihre Expertise zum klimafreundlichen Umbau des Energiesystems einzubringen.
Fußnoten:
(1) Martin Pehnt, Christian Lutz, Friedrich Seefeldt u.a.: „Klimaschutz, Energieeffizienz und Beschäftigung Potenziale und volkswirtschaftliche Effekte einer ambitionierten Energieeffizienzstrategie für Deutschland“; Berlin, 29. Juli 2009
(2) McKinsey & Company: „Kostenpotenziale der Vermeidung von Treibhausgasemissionen in Deutschland“; Studie im Auftrag des BDI; 2007
(3) Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: „Leitstudie 2010. Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global “; Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums, Dezember 2010